Drei Fragen an Forscher:innen am Institut
Univ.-Prof. Dr. Gianina Iordachioaia
Wie bist du zur Sprachwissenschaft gekommen?
Als Kind habe ich mir gewünscht, Lehrerin zu werden und deswegen habe ich ein pädagogisches Gymnasium besucht, um Grundschullehrerin zu werden. So habe ich ungefähr in der 9.-10. Klasse von unserem Rumänischlehrer über Linguistik als Wissenschaft gehört – über Ferdinand de Saussure und Noam Chomsky. In der Schule mochte ich schon immer Grammatik und Mathematik/Logik, aber nicht unbedingt Literatur oder andere Naturwissenschaften. Deswegen schien Linguistik genau die Wissenschaft für mich zu sein. Dann wusste ich gleich, dass das meine Zukunft sein wird. Ich habe also an der Universität Bukarest BA- und MA-Studien absolviert, danach an der Universität Tübingen promoviert und nach verschiedenen Stationen an der Universität Stuttgart, Universität Potsdam und Humboldt-Universität zu Berlin habe ich März 2024 als Professorin am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Graz angefangen zu arbeiten.
Was findest du spannend an der Sprachwissenschaft?
In der Grammatiktheorie, das Feld in dem ich arbeite, versucht man herauszufinden, welche abstrakte Prinzipien der menschlichen Sprache im Allgemeinen unterliegen, so dass sie in den verschiedensten Idiomen der Welt in unterschiedlichen Formen wiederzuerkennen sind. Dass wir Linguist:innen immer wieder Bestätigungen für diese Annahme eines zugrundeliegenden Systems der Sprache, unabhängig von der individuellen Sprache finden, ist für mich am spannendsten an meiner Arbeit.
Zum Beispiel haben Linguist:innen schon lange erkannt, dass Sätze nicht linear prozessiert und interpretiert werden, also nicht in der Reihenfolge, in der sie geschrieben oder gesprochen werden, sondern in einer hierarchischen Struktur, die aus sogenannten Konstituenten besteht, die wiederum eine interne hierarchische Struktur aufweisen. Nehmen wir mal den deutschen Satz Die rote Blume liegt auf dem Tisch an. Wenn wir den Satz in der Reihenfolge interpretieren würden, in der er geschrieben ist, würden wir eventuell versuchen, die ersten zwei Worte die und rote als ein komplexes Element die rote zu interpretieren. Aber dann würden wir den Satz nicht richtig verstehen, denn es sind eigentlich die ersten drei Worte, die hier zusammen die Konstituente die rote Blume bilden, im Gegensatz zu einem Satz wie Die rote liegt auf dem Tisch, wo die rote tatsächlich eine Konstituente ist. Genauso interpretiert man auch liegt auf nicht als Konstituente, denn das Verb und die Präposition bilden in diesem Fall auch keine Einheit, obwohl sie neben einander stehen (vgl. Er legt auf). Die Präposition gehört zusammen mit dem Tisch und bildet damit eine Konstituente. Im Deutschen kann man eigentlich nicht-verbale Konstituenten sehr gut erkennen, sie nehmen nämlich im Hauptsatz immer die Stelle vor dem Verb ein: vgl. [Auf dem Tisch] liegt die rote Blume vs. *[Dem Tisch] liegt die rote Blume [auf] vs. *[Auf] liegt die rote Blume [dem Tisch]. Deutsch ist eine V2-Sprache, d.h. das Verb kommt an zweiter Stelle im Satz und an erster Stelle kommt immer eine volle Konstituente.
Blicken wir in deine Zukunft: Welche Schwerpunkte in der Forschung möchtest du in Zukunft setzen?
Das Ziel meiner Forschung besteht darin, die Hauptmuster der Bedeutungskonstitution in natürlichen Sprachen zu bestimmen und eine einheitliche Theorie der Satzstruktur und der Wortbildung zu entwickeln. Dafür arbeite ich zur Morphologie-Syntax-Semantik-Schnittstelle. In der letzten Zeit habe ich viel zu Nominalisierungen geforscht, das heißt, zu Konstruktionen, die inhaltlich adjektivisch oder verbal sind, sich aber syntaktisch wie Nomen benehmen (z.B. schön – die Schönheit; spazieren – das Spazieren). Darunter gibt es auch sogenannte gemischte Nominalisierungen, die syntaktisch sowohl adjektivische/verbale, als auch nominale Eigenschaften aufweisen: z.B. ist das Schöne an dieser Sache intern adjektivisch, denn Schöne kann nur durch Adverbien modifiziert werden (das [extrem/*extreme] Schöne an dieser Sache) im Vergleich zu Schönheit, das nur durch Adjektive modifiziert werden kann, wie lexikalische Nomen: s. die [extreme/*extrem] Schönheit dieser Sache. Extern ist aber auch das Schöne nominal, weil es den Artikel das beinhaltet, genauso wie lexikalische Nomen wie das Buch oder das Auge. Diese Beobachtungen sind für eine Grammatiktheorie sehr wichtig, weil sie uns Informationen über die Grenzen zwischen grammatischen Kategorien im Sprachsystem liefern können.
Um meine Hypothesen in der Grammatiktheorie zu testen, bin ich auch an psycholinguistischen Methoden interessiert. Ich bereite gerade ein Experiment vor, das die Bedeutungsunterschiede der verschiedenen Suffixe, die in deverbalen Nominalisierungen im Englischen auftauchen, untersucht: können z.B. für ein Verb wie starve „verhungern“, das zwei Nutzungsarten hat (s. The conquerors starved the population und The population starved), Nominalisierungen mit Suffixen wie -ing und -ation (s. the starving of the population und die starvation of the population) auch beide Lesarten wie das Basisverb ausdrücken? Wenn die Ergebnisse für Englisch vielversprechend aussehen, möchte ich ein ähnliches Experiment für andere romanische, germanische oder slawische Sprachen durchführen, um meine Hypothesen in mehreren Sprachen zu testen.
Weiterhin finde ich Zweitspracherwerb sehr spannend und was die Unterschiede zwischen Erst- und Zweitspracherwerb uns über die menschliche Kapazität des Sprachenlernens sagen kann. Ein Thema, das mich hier besonders interessiert ist, wie die Muttersprache den Erwerb einer Zweitsprache beeinflusst, z.B. wie sich Unterschiede zwischen verschiedenen Mustern von Muttersprachen auf den Erwerb der Zweitsprache auswirken. Dazu möchte ich in der Zukunft auch ein Forschungsprojekt entwickeln, das viel zu der Kooperation mit anderen Wissenschaftler:innen der GEWI-Fakultät, die zum Schwerpunkt Mehrsprachigkeit, Migration und kulturelle Transformation forschen, beitragen und davon auch profitieren könnte.
Assoz. Prof. Mag. Dr.phil. Veronika Mattes
Wie bist du zur Sprachwissenschaft gekommen?
Über ein paar Umwege. Schon als Kind hat es mich fasziniert, wenn Menschen in verschiedenen Sprachen gesprochen haben und auf Reisen habe ich immer versucht, etwas über die Sprache des Landes herauszufinden. Als ich mich aber für ein Studium entschieden habe, war mir das Fach Sprachwissenschaft noch nicht bekannt (damals war es ohne Internet tatsächlich nicht so einfach, sich über Studienmöglichkeiten zu informieren). Also habe ich zuerst einmal, damals an der Uni Salzburg, mit Romanistik und Germanistik begonnen und dabei schnell gemerkt, dass mich die sprachwissenschaftlichen Inhalte am meisten interessieren. Aber eigentlich wollte ich mehr darüber erfahren, was, unabhängig von Einzelsprachen, die allgemeine Sprachfähigkeit des Menschen ausmacht. Dass es einen Wissenschaftszweig gibt, der sich genau damit beschäftigt, habe ich schließlich bei einem neuen (und nur kurzen) Studienversuch der Psychologie erfahren, als in einer Vorlesung zur Entwicklungspsychologie die Forschung der „Linguistin“ Susan Curtiss zum Spracherwerb Thema war. Das war der Aha-Moment für mich. Ich habe mich sofort an der Uni Graz für das Sprachwissenschaftsstudium eingeschrieben und war begeistert, wie vielfältig dieses kleine, eher unbekannte, Fach ist. Deshalb bin ich dabei geblieben, bis heute.
Was findest du spannend an deiner Arbeit?
Sprache ist (fast) immer und überall um uns herum, gesprochen, geschrieben, gebärdet, in den verschiedensten Erscheinungsformen. Wir benutzen Sprache meistens ohne viel darüber nachzudenken, und wissen dennoch sehr genau, wie wir sie in unterschiedlichen Situationen einsetzen und variieren müssen, je nachdem mit wem wir sprechen, worüber und warum. Unser gesamtes sprachliches Wissen, also unser Wortschatz, die grammatischen Regeln, die gesellschaftlichen Übereinkünfte, ist extrem groß und detailliert. Dabei ist uns als Sprecher:innen jedoch das wenigste bewusst. Als Linguistin die Regularitäten und Zusammenhänge herauszufinden, und zu erforschen, wie der Mensch sich dieses Wissen aufbaut – im Laufe des Lebens sogar meistens für mehrere Sprachen und Dialekte – finde ich sehr faszinierend.
Am spannendsten in meiner bisherigen sprachwissenschaftlichen Tätigkeit war zweifellos meine Forschungsarbeit zum Bikol, einer der vielen und noch relativ wenig untersuchten philippinischen Sprache. Um mehr über sie herauszufinden, habe ich einige Zeit zur Feldforschung auf den Philippinen verbracht, eine große Herausforderung und Bereicherung.
Blicken wir in deine Zukunft: Welche Schwerpunkte in der Forschung möchtest du in Zukunft setzen?
Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit der Sprachentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Es ist nämlich keinesfalls so, dass der Spracherwerb nach dem Kleinkindalter abgeschlossen ist, allerdings weiß man noch nicht so viel über die spätere Entwicklung der Muttersprache. Mich interessiert für meine aktuelle Forschung vor allem, wie ältere Kinder und Jugendliche komplexe Wortbildungen erlernen, also Wörter, die sich aus mehreren Konstituenten zusammensetzen und abstrakt sind, wie zum Beispiel Unverträglichkeit, Demokratisierung, identifizierbar, überbeanspruchen. Wann und wie lernen Kinder, solche schwierigen Wörter, die viel häufiger in der geschriebenen als in der gesprochenen Sprache vorkommen, zu verstehen und zu verwenden? Dabei schaue ich mir an, wie der Schriftspracherwerb sich auf das allgemeine Sprachwissen auswirkt, und welchen Einfluss andere Sprachen, die man erlernt und verwendet (Muttersprachen und Fremdsprachen oder auch Dialekte), auf diese spätere Sprachentwicklung haben. Dazu untersuchen wir zum Beispiel geschriebene und gesprochene Texte von Schulkindern, aber wir führen auch Experimente durch, mit denen wir herausfinden wollen, was Kinder, Jugendliche und Erwachsene (bewusst und unbewusst) über solche komplexen Wörter wissen, also was diese bedeuten und wie sie verwendet werden können.